Interessante arbeitsgerichtliche Entscheidungen des Jahres 2023 aus Arbeitgebersicht

Rechtsanwalt Magnus Dühring

Das Jahr 2023 hat wieder einige arbeitsgerichtliche Entscheidungen hervorgebracht, die Arbeitgeber kennen sollten.

Grenzen der Meinungsfreiheit in Sozialen Netzwerken

Die Meinungsfreiheit des einen findet ihre Grenzen im Persönlichkeitsrecht des anderen. Das gilt auch im Arbeitsverhältnis, wie das Bundesarbeitsgericht (BAG) in seiner Entscheidung vom 24.08.2023 (2 AZR 17/23) klarstellte. Konkret ging es um Beleidigungen unter Kollegen in einem WhatsApp-Chat. Der Beleidigende verteidigte sich mit dem sog. Grundsatz der Vertraulichkeitserwartung. Danach darf ein Arbeitnehmer erwarten, dass Äußerungen, die er in einem vertraulichen Gespräch unter Kollegen macht, nicht an Dritte weitergegeben werden. Das BAG bestätigte diesen Grundsatz, betonte aber, dass ehrverletzende, insbesondere strafrechtlich relevante Äußerungen keinen Vertrauensschutz genießen. Zudem sei der Vertrauensschutz umso geringer, je mehr Chat-Teilnehmer beteiligt seien. Will sich der Arbeitnehmer bei Abmahnung oder Kündigung hierauf berufen, muss er darlegen, warum er von Vertraulichkeit der Kommunikation ausging. 

Was ist zu tun? Verhaltensrichtlinien zum Umgang mit Social Media unter Kollegen erlassen und Mitarbeiter regelmäßig zum Thema Diskriminierung – Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz – schulen!

Kein grundsätzliches Verwertungsverbot von Videoüberwachungsaufnahmen von Arbeitnehmern

Oft schwer verständlich ist, dass Videoaufnahmen, die einen anderen bei der Begehung einer arbeitsrechtlichen Pflichtverletzung oder einer Straftat zeigen, vor Gericht unter Umständen nicht verwerten werden können. Die einschlägigen Stichwörter heißen Sachvortrags- und Beweisverwertungsverbot. Beruft sich der gekündigte Arbeitnehmer hierauf im Prozess, wird es für den Arbeitgeber trotz Videoaufnahmen meist schwer, das Vorliegen des (wichtigen) Kündigungsgrundes zu beweisen, da dem Gericht verwehrt ist, diesen Beweis prozessual zu verwerten. Das BAG sprang dem Arbeitgeber nun zur Seite und erklärte in seinem Urteil vom 29.06.2023 (2 AZR 292/22), dass Videoaufnahmen unter bestimmten Voraussetzungen – selbst bei Nichteinhaltung datenschutzrechtlicher Vorschriften – vom Gericht zu verwerten sind. Bei vorsätzlich begangenen Pflichtverletzungen bzw. Straftaten habe das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers vor den Grundrechten des Arbeitgebers (z.B. Eigentum) zurückzutreten. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Videoüberwachung sachlich geboten (z.B. wegen wiederholter Vorkommnisse) und durch Hinweise für jedermann erkennbar ist.

Was ist zu tun? Sofern „gefährdete“ Arbeitsbereiche videoüberwacht werden, die Videoüberwachung offen erkennbar gestalten und Arbeitnehmer darauf hinweisen! In mitbestimmten Betrieben eine entsprechende Betriebsvereinbarung abschließen!

Erschütterung des Beweiswerts von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen

Bereits in seiner Entscheidung vom 08.09.2021 (5 AZR 149/21) hatte das BAG klargestellt, dass der für die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit beweisbelastete Arbeitnehmer durch Vorlage einer vom Arzt ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung seine Arbeitsunfähigkeit nachweisen kann. Die Beweiskraft der AU-Bescheinigung gilt allerdings als erschüttert, wenn im Fall der Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Arbeitnehmer eine „passgenaue“ AU-Bescheinigung vorlegt, die bis zum Ablauf der Kündigungsfrist gilt. In Ergänzung hierzu hat das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein in seiner Entscheidung vom 02.05.2023 (2 Sa 203/22) hervorgehoben, dass die Arbeitsunfähigkeit auch dann zweifelhaft ist, wenn der Arbeitnehmer mehrere AU-Bescheinigungen vorlegt, die zusammengerechnet bis zum Ablauf der Kündigungsfrist reichen. In diesen beiden Fällen kommt der Arbeitnehmer, der Entgeltfortzahlung begehrt, im Prozess seiner Beweislast nur nach, wenn er den bzw. die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbindet und dem Arbeitsgericht als Zeugen anbietet.

Was ist zu tun? Sofern das Arbeitsverhältnis gekündigt ist und gleichzeitig bzw. kurz darauf der Arbeitnehmer eine oder mehrere AU-Bescheinigungen für die verbleibende Kündigungsfrist vorlegt, kann bei ernsten Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit erwogen werden, bis zur Sachaufklärung die Entgeltfortzahlung zurückzubehalten.

Verjährung von Urlaubsansprüchen

Das Urlaubsrecht aus Sicht des Arbeitgebers hat sich in den letzten Jahren – auch aufgrund der EuGH-Rechtsprechung dramatisch verschärft. In kurzer Abfolge traf das BAG zwei Entscheidungen, die man auf dem Schirm haben sollte. So stellte das BAG in seiner Entscheidung vom 22.12.2022 (9 AZR 266/20) zunächst klar, dass der gesetzliche Mindesturlaub der gesetzlichen Verjährung gem. § 194 Abs. 1 BGB unterliegt, um dann Folgendes zu ergänzen:

„Die dreijährige Verjährungsfrist beginnt aber erst am Ende des Kalenderjahres, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer durch eine Belehrung über den konkreten Urlaubsanspruch und einen Hinweis über die Verfallfristen in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch tatsächlich wahrzunehmen, und wenn der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat.“

Freilich gelten die in der Entscheidung aufgestellten Grundsätze auch für den vertraglichen Mehrurlaub. Tröstlich an dieser Entscheidung und der darauffolgenden Entscheidung des BAG vom 31.01.2023 (9 AZR 456/20) ist, dass auch selbst bei Verletzung der Hinweispflicht die dreijährige Verjährungsfrist in der Regel mit dem Ende des Jahres beginnt, in dem der Arbeitnehmer aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet. Das heißt, der Arbeitnehmer kann bis zum Ablauf der Verjährungsfrist eine Abgeltung des ihm zustehenden, bis zum Ausscheiden nicht mehr genommenen Urlaubs verlangen.

Was ist zu tun? Unbedingt zu Jahresbeginn jeden Arbeitnehmer individuell und schriftlich (nachweisbar) auf seinen konkreten Urlaubsanspruch und auf die Verfallfristen hinweisen und dies zu Beginn der zweiten Jahreshälfte aktualisiert wiederholen. Nur so wird nach der Rechtsprechung der Arbeitnehmer in die Lage versetzt, seinen Urlaubsanspruch tatsächlich wahrzunehmen.

Gleiches Entgelt für gleiche Arbeit

In seiner Entscheidung vom 16.02.2023 hat das BAG (8 AZR 450/21) betont, dass „eine Frau Anspruch auf gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit hat, wenn der Arbeitgeber männlichen Kollegen aufgrund des Geschlechts ein höheres Entgelt zahlt“ und im Weiteren klargestellt, dass „dabei der Umstand, dass die Frau für die gleiche Arbeit ein niedrigeres Grundentgelt erhält als ein männlicher Kollege, die Vermutung begründet, dass die Benachteiligung aufgrund des Geschlechts erfolgt ist“. Auch erteilte das BAG dem Arbeitgeber eine Absage für seinen Einwand, dass „der Mann im Rahmen der Einstellungsverhandlungen ein höheres Entgelt gefordert habe und der Arbeitgeber dieser Forderung nachgegeben habe“. Aufgrund der geschlechtsspezifischen Diskriminierung wurde der Klägerin nicht nur die Nachzahlung der Differenzvergütung, sondern auch noch eine Entschädigung für die erlittene Diskriminierung zugesprochen.

Was ist zu tun? Dass die gleiche Vergütung für die gleiche Arbeit bezahlt wird, egal für welches Geschlecht, sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Aus Arbeitgebersicht wird es zudem umso wichtiger werden, dass eine Wertigkeit der jeweiligen Stelle im Unternehmen nach sachlichen und vergleichbaren Kriterien festgelegt wird. Zudem sollten auch die bei Einstellung marktüblichen Vergütungen für die vorgesehenen Stellen festgehalten werden, um die Gehaltsentwicklungen in der Folgezeit darstellen zu können.

Unwirksamkeit einer Rückzahlungsvereinbarung bei Fortbildungskosten

Um in einem Beschäftigungsverhältnis fachlich auf dem aktuellen Stand zu bleiben, sollten sich Arbeitnehmer regelmäßig fortbilden. Die hierfür anfallenden Kosten trägt nicht selten der Arbeitgeber. Dieser hat ein Interesse daran, dass sich die Kosten durch einen möglichst langen Verbleib des Arbeitnehmers im Unternehmen „amortisieren“. Hierfür wird meist eine separate Fortbildungsvereinbarung geschlossen, die den Arbeitnehmer verpflichtet, die Fortbildungskosten zurückzuzahlen, falls er innerhalb einer bestimmten Frist nach Beendigung der Fortbildung ausscheidet. Aus den bisher ergangenen Gerichtentscheidungen wird deutlich, dass meist der Arbeitgeber das „kurze Hölzchen zieht“ und auf den Fortbildungskosten sitzen bleibt. So geschehen auch im Urteil des BAG vom 25.04.2023 (9 AZR 187/22). Der Arbeitgeber verlangte vereinbarungsgemäß die Rückzahlung der Fortbildungskosten, weil der Arbeitnehmer wiederholt nicht zur Prüfung angetreten war. Das BAG begründete seine Entscheidung damit, dass es sich bei dem Fortbildungsvertrag um allgemeine Geschäftsbedingungen handele und die Rückzahlungsklausel deshalb unwirksam sei, weil die Rückzahlungsklausel ungeachtet des Grunds, warum der Arbeitnehmer zur Prüfung nicht angetreten sei, ihn zur Rückzahlung verpflichtet. Man könne den Arbeitnehmer aber nur zur Rückzahlung verpflichten, wenn der Arbeitnehmer für das Nichtablegen der Prüfung verantwortlich sei. Dies muss explizit in der Klausel geregelt sein, andernfalls könne der Arbeitgeber nicht die Rückzahlung verlangen.

Was ist zu tun? Fortbildungsverträge an Vorgaben der aktuellen Rechtsprechung anpassen!

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